Rassistische Stereotypen im 21. Jahrhundert

Ursula von Leyen wollte als EU-Kommissionspräsidentin das Ressort für Migration und Asyl in das Ressort zum „Schutz der Europäischen Lebensweise“ umbenennen. Das finde ich aus mehreren Gründen problematisch. Zunächst wird behauptet, es gibt so etwas wie eine „europäische Lebensweise“, obwohl Europa als Kontinent extrem vielfältig ist. Europa stellt ein „melting pot“ der Kulturen dar, und es fällt schwer darin eine einzelne Lebensweise zu erkennen. Es ist schon in Deutschland unmöglich eine einheitliche Lebensweise zu erkennen. Man kann sicherlich Parallelen zwischen den einzelnen europäischen Bevölkerungsgruppen ausmachen, die Vereinheitlichung zu einer einzigen europäischen Lebensweise ist allerdings absurd. Auf diese Kritik antwortete Frau von der Leyen, dass mit „europäischer Lebensweise“ die Werte aus dem zweiten Artikel des Vertrages von Lissabon, wie Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtstaatlichkeit und Wahrung der Menschenrechte, gemeint sind.

Dadurch stellt sich allerdings die Frage vor wem diese Werte geschützt werden müssen. Sind es Migrantinnen, welche nach Europa kommen? Letztlich erfolgt dadurch eine Abstufung zwischen zwei verschiedenen Gruppen von Menschen, nämlich den Migrantinnen und den Europäerinnen. Die Lebensweise der Europäerinnen ist gekennzeichnet durch Menschenrechte, Freiheit und Gleichheit, während die Migrantinnen nicht über diese Werte verfügen, ansonsten wäre es gar nicht nötig die Menschenrechte zu schützen, insbesondere nicht vor Migrantinnen. Der Unterschied zwischen den Menschengruppen wird deutlich. Europäerinnen sind mit positiv besetzen Werten assoziiert und damit die „Guten“, während Migrantinnen eben nicht über diese Werte verfügen und die „Schlechten“ sind.

Genau diese Unterscheidung machte auch der koloniale Rassismus des 19. Jahrhunderts. Er beruht auf dem biologischen Stereotyp der „Rasse“, die Welt wird künstlich in bestimmte Gruppen eingeteilt – die europäische (Europäoide), die afrikanische (Negroide), die pazifische (Australoide) und die asiatische Rasse (Mongoloide). Dabei ist die europäische Rasse am weitesten entwickelt und mit positiven Begriffen, wie zivilisiert und kultiviert, assoziiert. Ein solches Rassenkonstrukt ist natürlich wissenschaftlich nicht belegt und dient ausschließlich der sozialen Hierarchisierung und Abstufung einzelner Gruppen.

Durch die Bennennung des Ressorts zum „Schutz der Europäischen Lebensweise“ wird der biologische Rassismus zu kulturellem Rassismus transformiert. Wieder dient eine künstliche Einteilung zur sozialen Hierarchisierung von Menschen. Diese Unterteilung ist absurd, da es auch in Europa Staaten gibt, die Werte wie Demokratie und Rechtstaatlichkeit, stärker wahren und fördern als andere, und genauso gibt es außerhalb von Europa Staaten, welche positiv besetzte Werte fördern und leben. Der kulturelle Rassismus ist noch perfider als der biologische Rassismus, da die Hautfarbe und das Aussehen seit der Geburt unveränderlich bleibt, die Kultur allerdings veränderbar ist und jeder Mensch selbst in der Verantwortung steht, die Werte nach denen er lebt, auszusuchen. Die künstliche Einteilung in demokratische und rechtstaatliche Europäerinnen und undemokratische und nicht-rechtstaatliche Migrantinnen folgt dem Narrativ, dass Migrantinnen sich bewusst ihre „unzureichende“ und „schlechte“ Lebensweise ausgesucht haben und nicht in der Lage sind sich die europäischen gute Lebensweise anzueignen. Genau diesen Rassismus greift auch die Kommissionspräsidentin mit der Benennung des Ressorts auf.

Inzwischen heißt das Ressort „Förderung der Europäischen Lebensweise“.  Die Förderung der „Europäischen Lebensweise“ (der europäischen Werte) ist löblich, hingegen hat das Ressort dann aber nichts mehr mit Migration und Asyl zu tun. Oder ist mit Förderung der Europäischen Lebenswese Migration gemeint, da außerhalb von Europa Werte, wie Demokratie, nicht vertreten sind? Dann wurde anscheinend der koloniale Rassismus noch nicht überwunden.

Zur Verantwortung von Individuen für gesellschaftlichen Veränderungen

Der Beitrag jedes einzelnen Menschen ist wichtig für ein soziales und nachthaltiges Zusammenleben. Der Streitpunkt ist der Weg, wie dieser Beitrag erreicht wird – individuell oder kollektiv. Gibt es so etwas wie eine individuelle Verantwortung für gesellschaftliche und soziale Veränderungen oder ist eine Veränderung nur im kollektiven Rahmen zu meistern?

Als großer Rahmen sind zunächst die legalen Möglichkeiten des Individuums zu betrachten. Ich darf mich, unabhängig von moralischen Standpunkten, in diesen Grenzen bewegen. Dabei bin ich nicht an eine ethische Konstante gebunden, sondern meine Handlungen sind klar rechtliche begrenzt. Natürlich ist das Recht keine feste Masse, sondern amorph und verändert sich immerwährend. Diese Weiterentwicklungen und Anpassungen sind richtig und wichtig. Bei der Frage der Verantwortung müssen die Handlungsbedingungen des Individuums immer auf den kleinsten gemeinsamen Faktor heruntergebrochen werden. Da sich die ökonomischen Verhältnisse der einzelnen Menschen sich stark unterscheiden und folglich ausgeblendet werden müssen, konstituiert der rechtliche Rahmen die Handlungsmöglichkeiten. Ad actus eiusdem.

Es ist nicht von den Menschen zu erwarten, dass sie etwas tun sollen, wozu sie nicht verpflichtet sind. Es kann aber erwartet werden, dass sie jenes tun, was ihnen durch den legalen Rahmen vorgeschrieben ist. Es ist die individuelle Verantwortung sich an die Gesetze zu halten und ihre Pflichten zu erfüllen, darüber hinaus müssen sie nichts tun. Es gibt keine individuelle Pflicht eigenständig für Verbesserungen zu sorgen, es gibt nur eine kollektive Verantwortung für eben diese zu sorgen. Dabei geht es nicht darum Verbote für das Individuum auszusprechen, sondern dem Menschen solidarische Pflichten aufzuerlegen. Nur in einem kollektiven Verbund besteht die Pflicht für die Veränderung zu sorgen.

Zur Veranschaulichung ein Beispiel: gerade in der Weihnachtszeit betteln viele Obdachlose in Fußgängerzonen um Geld. Viele Menschen geben ihnen kein Geld, sind aber grundsätzlich mit der Idee einverstanden obdachlosen Menschen zu helfen. Eine Vorschrift, dass nun an jeden Obdachlosen Geld zu spenden sei, ist unsinnig. Es wäre viel sinnvoller jeden in die Pflicht zu nehmen, obdachlosen Menschen zu helfen. Unabhängig von den eigenen finanziellen Umständen ist jeder Mensch in der Lage Zeit zu spenden. Wenn jeder und jede eine Stunde im Monat in der Obdachlosenhilfe hilft, sollte das im Bereich des Möglichen liegen. Diese Variante würde eine gesellschaftliche Veränderung durch kollektiven Einsatz bedeuten, größer als der moralische Druck auf das Individuum.

Entscheidend ist das jeder Mensch auf der gleichen Basis in dieses System miteinbezogen werden sollte. Zeit ist dabei der Faktor, der alle eint. Jedem und jeder stehen dieselben 24 Stunden am Tag zur Verfügung. Einige werden diesen Vorschlag sicherlich als einen, wie ich finde vermeintlichen, Einschnitt in die persönliche Freiheit werten. Andererseits leben wir auch in einem freien und sozialen Bundesstaat. Steuern stellen ebenfalls ein Einschnitt in die persönliche Freiheit dar und sind genauso wichtig für die Gesellschaft. Wichtig für eine ausgeglichene Solidarität ist, dass jeder Mensch seine Pflicht auch ausführt und dieser nicht durch einen finanziellen Ausgleich entgehen kann.

Genauso halte ich auch die Einführung eines verpflichtenden Zivildienstes nach dem Schulabschluss oder mit 18 Jahren für eine sinnvolle Idee, umso seinen Beitrag zur gesellschaftlichen Solidarität zu leisten. Natürlich könnte argumentieren werden, dass es jedem und jeder freisteht sowieso ein freiwilliges soziales Jahr oder ähnliches zu absolvieren, allerdings besteht, meiner Meinung nach, kein individueller Zwang dazu. Nur im Kollektiv wird jeder an der gesellschaftlichen Veränderung teilhaben und die zu erbringende Leistung kann geteilt werden. Letztlich kommt ein sozialerer Staat allen Menschen zu gute. Bei einer solchen Idee kommt der Staatsgewalt natürlich die umso größere Verantwortung zu, dem Menschen Rechte und Pflichten aufzuerlegen, welche einen positiven sozialen Wandel bedingen und zu mehr Solidarität untereinander führen.

Die kollektive Verantwortung steht vor der individuellen Verantwortung. Für das Individuum ist es die einzige Verantwortung sich an den rechtlichen Rahmen zu halten und seine Pflichten zu erbringen. Natürlich kann sich jeder darüber hinaus sozial engagieren, allerdings kann ein solcher Einsatz nicht erwartet werden, wenn er nicht zu der staatsbürgerlichen Pflicht gehört.

Der moralische Freifahrtsschein

Neulich, im Gespräch mit Freundinnen, passierte mir folgende Situation: das Gespräch drehte sich um Auftritte von Musikerinnen bei Veranstaltungen, und es wurde angemerkt, dass ein Musiker bei einer Veranstaltung der SPD für einen achtminütigen Auftritt ein Honorar von 500 Euro erhalten hat. Schockierend für die Beteiligten des Gespräches war nicht das Honorar von 500 Euro. Dies hängt von der Größe der Veranstaltung ab und der Begriff „Dezemberfieber“ spielt hier auch keine unwichtige Rolle.

Die Beteiligten des Gespräches haben sich eher über die Art der Übergabe des Geldes echauffiert: bar auf die Hand. Dies wurde eindeutig als Versuch keine Steuern zu zahlen gewertet. Gerade von einer Partei, wie der SPD, die sich dafür einsetzt Steuern zu zahlen, wird erwartet dies auch selber zu tun. Ich möchte nun nicht auf den Vorwurf der Steuerhinterziehung eingehen, sondern mich zu den Erwartungen an die SPD äußern. Ich habe das Gefühl, dass Gemeinschaften (wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Art), welche sich für soziale Verbesserung einsetzen, immer unter der Lupe betrachtet werden, ob sie selbst auch an diesen Verbesserungen teilhaben. Das ist prinzipiell kein falsches Verhalten, allerdings entsteht dadurch leicht der Eindruck, dass ein einzelnes Vergehen gegen die angestrebte Veränderung (Policy) die gesamte Gemeinschaft und auch die Policy diskreditiert. Dabei haben alle anderen Gemeinschaften (insbesondere die wirtschaftlichen) einen moralischen Freifahrtsschein und müssen sich nicht an der Veränderung beteiligen, sondern können durch ihr Verhalten sogar aktiv dagegenwirken. Dabei ist die Wahrheit doch, dass sich große Veränderungen nur durch gesamtgesellschaftliche Anstrengungen durchführen lassen. Dabei ist es wichtig, dass gerade einflussreiche Gruppen teilnehmen, und nicht nur die sich für die Veränderung einsetzen. Oftmals richten sich viele Veränderungen gegen den Einfluss mächtiger Kräfte, die sich aus eigennützigen Gründen gegen moralisch richtige Ideen stellen, und somit ihre eigenen Beiträge zu gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten reproduzieren.

Werden wir konkreter: Im Falle der SPD, welche sich für mehr Steuern einsetzt, ist es wichtig, die gesellschaftliche Landkarte zu betrachten. Die SPD als Organisation stellt fiskal einen zu vernachlässigbaren Beitrag dar, während große Wirtschaftsunternehmen wie Amazon keine Steuern zahlen. Ähnlcihes ist auch bei der Klimabewegung zu beobachten. Klimaveränderungen sind sehr real und das etwas getan werden muss, ist auch nicht von der Hand zu weisen. Gerade bei Greta Thunberg wird aber mit der Lupe beobachtet, wie klimafreundlich sie lebt. Die CO2-Aufwendungen ihrer Atlantik-Reise werden mit dem einer Flugzeugreise verglichen, und es wurde zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Flugreise klimaneutraler gewesen wäre. Das ist aber völlig egal. Die Menge des produzierten CO2 der Reise ändert nichts an der Notwendigkeit etwas zu tun. Außerdem hat Greta Thunberg mit ihrer Segelreise ein Zeichen gesetzt. Kein Zeichen gesetzt haben hingegen die deutschen Bundesministerinnen, deren Dienstwagen im Vergleich zu den Vorjahren einen größeren CO2-Ausschuss haben.

Ich denke es würde uns allen guttun, unseren Blick lieber auf die Verursacherinnen der Probleme zu richten, als mit einer Lupe die Fehler derjenigen zu zerpflücken, die sich für die Veränderung zum besseren einsetzen. Denn die stehen setzen sich immerhin für Verbesserungen ein. Alles andere wäre eine Belohnung für moralisch verkommener Menschen und ihre Ungerechtigkeiten.

Der „ethische“ Westen

Das eurozentrisch ausgerichtete Feld der Internationalen Beziehungen benutzt die dichotome geografische Kategorie des Westens und der anderen Staaten entlang der Nord-Süd-Achse und reproduziert somit die epistemologische Unterdrückung nicht-westlicher Schulen und Autorinnen. Durch die Zweiteilung der Welt in die „westliche“ Gruppe und den „Rest“ wird der Teil der Welt, welcher den „Rest“ darstellt in eine einzige Gruppe zusammengefasst und homogenisiert. Der Westen hat es sich zur Aufgabe gemacht, dem „Rest“ zu einer Entwicklung zu verhelfen. Der positiv besetzte Begriff der Entwicklung wird durch westliche Akteure mit Fortschritt und Modernität assoziiert, und letztendlich und am wichtigsten mit dem Westen. Der Westen gilt als die Wiege der Moderne und des Fortschrittes. Wenn nun westliche Staaten, die als fortschrittlich gelten, von dem „Rest“ differenziert werden, impliziert diese Differenzierung ein unfortschrittliches Verhalten und somit eine Unterentwicklung. Letztlich ist diese Differenzierung nur eine Weiterführung des kolonialen Stereotyps, dass die kolonisierten Völker unzivilisiert sind und erst durch die Kolonisation zivilisiert worden sind. Auf Grund einer solchen Argumentation werden die eigenständigen Entwicklungsvorgänge nicht-westlicher Akteurinnen verkannt. Durch die positive Konnotation der westlich herbeigeführten Entwicklung sind westliche Akteurinnen in der Lage ihre Position und ihre Handlungen als selbstlos zu legitimieren. Dies versteckt den wahren Kern ihrer Handlungen und ihrer Motive. Der Westen ist erfolgreich als „ethisch korrekter“ Akteurin bestätigt, obwohl westliche Akteurinnen militärisch dominant und verantwortlich sind, und die Kolonisation ein äußerst destruktives Unterfangen war.

Die ethische Kategorie ist äußerst flexibel. Führen westliche Akteurinnen allerdings Handlungen aus, die nicht mit der ethischen Kategorie vereinbar sind, gelten diese nicht mehr als westlicher Akteurinnen. Man mag einmal an den Holocaust denken. Das deutsche Reich hat einen beispiellosen Massenmord durchgeführt, der außerhalb jeglicher Kategorien steht. In den Augen der Alliierten galt Deutschland nun allerdings nicht mehr als westlicher Staat, sondern „im Herzen“ als nicht-westlich. Diese flexible Kategorisierung ist äußerst perfide, da die westlichen Akteurinnen nicht nur die Zusammensetzung von „ethisch korrekten“ Staaten anpassen, um ihr Narrativ zu unterstützen, sondern auch die menschenverachtenden Massenmörder des Holocausts mit den unterdrückten kolonisierten Gruppen auf eine Ebene stellen. Dadurch werden die kolonisierten Gruppen zusätzlich durch den Vorwurf der fehlenden Zivilisation delegitimiert.

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