Ursula von Leyen wollte als EU-Kommissionspräsidentin das Ressort für Migration und Asyl in das Ressort zum „Schutz der Europäischen Lebensweise“ umbenennen. Das finde ich aus mehreren Gründen problematisch. Zunächst wird behauptet, es gibt so etwas wie eine „europäische Lebensweise“, obwohl Europa als Kontinent extrem vielfältig ist. Europa stellt ein „melting pot“ der Kulturen dar, und es fällt schwer darin eine einzelne Lebensweise zu erkennen. Es ist schon in Deutschland unmöglich eine einheitliche Lebensweise zu erkennen. Man kann sicherlich Parallelen zwischen den einzelnen europäischen Bevölkerungsgruppen ausmachen, die Vereinheitlichung zu einer einzigen europäischen Lebensweise ist allerdings absurd. Auf diese Kritik antwortete Frau von der Leyen, dass mit „europäischer Lebensweise“ die Werte aus dem zweiten Artikel des Vertrages von Lissabon, wie Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtstaatlichkeit und Wahrung der Menschenrechte, gemeint sind.
Dadurch stellt sich allerdings die Frage vor wem diese Werte geschützt werden müssen. Sind es Migrantinnen, welche nach Europa kommen? Letztlich erfolgt dadurch eine Abstufung zwischen zwei verschiedenen Gruppen von Menschen, nämlich den Migrantinnen und den Europäerinnen. Die Lebensweise der Europäerinnen ist gekennzeichnet durch Menschenrechte, Freiheit und Gleichheit, während die Migrantinnen nicht über diese Werte verfügen, ansonsten wäre es gar nicht nötig die Menschenrechte zu schützen, insbesondere nicht vor Migrantinnen. Der Unterschied zwischen den Menschengruppen wird deutlich. Europäerinnen sind mit positiv besetzen Werten assoziiert und damit die „Guten“, während Migrantinnen eben nicht über diese Werte verfügen und die „Schlechten“ sind.
Genau diese Unterscheidung machte auch der koloniale Rassismus des 19. Jahrhunderts. Er beruht auf dem biologischen Stereotyp der „Rasse“, die Welt wird künstlich in bestimmte Gruppen eingeteilt – die europäische (Europäoide), die afrikanische (Negroide), die pazifische (Australoide) und die asiatische Rasse (Mongoloide). Dabei ist die europäische Rasse am weitesten entwickelt und mit positiven Begriffen, wie zivilisiert und kultiviert, assoziiert. Ein solches Rassenkonstrukt ist natürlich wissenschaftlich nicht belegt und dient ausschließlich der sozialen Hierarchisierung und Abstufung einzelner Gruppen.
Durch die Bennennung des Ressorts zum „Schutz der Europäischen Lebensweise“ wird der biologische Rassismus zu kulturellem Rassismus transformiert. Wieder dient eine künstliche Einteilung zur sozialen Hierarchisierung von Menschen. Diese Unterteilung ist absurd, da es auch in Europa Staaten gibt, die Werte wie Demokratie und Rechtstaatlichkeit, stärker wahren und fördern als andere, und genauso gibt es außerhalb von Europa Staaten, welche positiv besetzte Werte fördern und leben. Der kulturelle Rassismus ist noch perfider als der biologische Rassismus, da die Hautfarbe und das Aussehen seit der Geburt unveränderlich bleibt, die Kultur allerdings veränderbar ist und jeder Mensch selbst in der Verantwortung steht, die Werte nach denen er lebt, auszusuchen. Die künstliche Einteilung in demokratische und rechtstaatliche Europäerinnen und undemokratische und nicht-rechtstaatliche Migrantinnen folgt dem Narrativ, dass Migrantinnen sich bewusst ihre „unzureichende“ und „schlechte“ Lebensweise ausgesucht haben und nicht in der Lage sind sich die europäischen gute Lebensweise anzueignen. Genau diesen Rassismus greift auch die Kommissionspräsidentin mit der Benennung des Ressorts auf.
Inzwischen heißt das Ressort „Förderung der Europäischen Lebensweise“. Die Förderung der „Europäischen Lebensweise“ (der europäischen Werte) ist löblich, hingegen hat das Ressort dann aber nichts mehr mit Migration und Asyl zu tun. Oder ist mit Förderung der Europäischen Lebenswese Migration gemeint, da außerhalb von Europa Werte, wie Demokratie, nicht vertreten sind? Dann wurde anscheinend der koloniale Rassismus noch nicht überwunden.